
Interdisziplinäre Spitzenleistung rettet einem Landwirt das Greifvermögen seiner Hand
Ein äußerst seltener Eingriff hat Ende Februar 2025 im Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch stattgefunden. -Umso erfreulicher der erfolgreiche Ausgang: Ein Team aus Spezialist:innen der Abteilungen „Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie“ sowie „Orthopädie und Unfallchirurgie“ konnte in fächerübergreifender Zusammenarbeit einen notfallmäßig amputierten Daumen durch einen Zeh ersetzen und damit dem Patienten die Greiffunktion der rechten Hand zurückgeben. Und diese braucht der 50-jährige selbständige Landwirt dringend, denn er möchte auch weiterhin seinen Hof aktiv bewirtschaften.
Die Prognose, dass das tatsächlich wieder klappen kann, ist sehr gut, versichert das behandelnde Team rund um den Plastischen Chirurgen OA Dr. Christian Knecht: „Noch braucht unser Patient Unterstützung beim Heu-Einfahren. Aber sein Ziel, spätestens Ende Mai seinen Hof wieder eigenständig führen zu können, ist durchaus realistisch.“
Vom einfachen Kratzer zur Amputation
Die Aufsehen erregende Krankengeschichte des 50-Jährigen beginnt eigentlich ganz harmlos: Bei der Arbeit auf seinem Hof hat sich der Landwirt im Frühling vergangenen Jahres eine zunächst ganz simple Risswunde am Daumen zugefügt: „Ein Kratzer an seiner rechten – und damit dominanten – Hand. An und für sich eine Bagatellverletzung, nichts Schlimmes“, erklärt OA Dr. Knecht. Allerdings hat sich die Wunde rasch entzündet. „Über Nacht breitete sich die Infektion über den gesamten Unterarm bis hin zum Ellenbogen aus. Und dann ging alles recht schnell. Der Patient musste mit einer Sepsis, also einer Blutvergiftung, kurzzeitig auf die Intensivstation verlegt werden.“
Der Daumen war zwischenzeitlich nicht mehr zu retten: er ist abgestorben und musste amputiert werden. Das war im Mai 2024. Im Anschluss folgte ein über neun Monate langer Behandlungsweg aus Ergotherapie, Wundmanagement und Lymphdrainagen, bis die Schwellungen an Hand und Arm soweit zurückgegangen waren, um zumindest die restlichen Finger wieder bewegen zu können.
Zweiter Zeh ersetzt Daumen
„Danach haben unsere Teams unter der Leitung von OA. Dr. Christian Knecht und OA Dr. Werner Ploner eine bemerkenswerte Zusammenarbeit geleistet“, gratulieren die jeweiligen Abteilungsleiter Prim. Priv.-Doz. Dr. Gabriel Djedovic, MBA (Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, LKH Feldkirch) und Prim. Priv.-Doz. Dr. René El Attal (Orthopädie und Unfallchirurgie, LKH Feldkirch & Bludenz). Denn einen Zeh an eine Hand zu transplantieren, ist allgemein recht ungewöhnlich und kommt eher selten vor: „In meiner Zeit hier in Feldkirch – und die erstreckt sich nun doch schon über sieben Jahre – ist es jedenfalls eine Premiere“, betont Primar Dr. Djedovic. „Es sind die Früchte einer Spezialisierung in der Handchirurgie, die wir in Zusammenarbeit mit der Plastischen Chirurgie vorangetrieben haben“, ergänzt Primar Dr. El Attal.
Gemeinsam hat das Team entschieden, den zweiten – und nicht, wie bei solchen Eingriffen auch gerne gemacht, den großen Zeh – an die Stelle des amputierten Daumens zu setzen: „Der Vorteil ist, dass der zweite Zeh schmaler ist und optisch besser zu seinen restlichen Fingern passt. Zudem fällt am Fuß die Amputation des zweiten Zehs beim ersten Blick kaum auf. Und drittens, unterstützt der große Zeh beim Laufen. Man kann zwar auch ohne gut gehen, aber besser geht’s mit. Und dieser Patient ist ja in seinem Arbeitsalltag sehr viel auf den Beinen.“
Achtstündiger Eingriff
Der eigentlichen Operation ging eine intensive, ebenfalls interdisziplinäre Vorbereitungszeit voraus. Denn die Kunst war es, Gefäße, Nerven, Sehnen und Knochen so zusammenzufügen, dass nach dem Eingriff zum einen der Fuß wieder voll belastbar sein kann und zum anderen dem neuen „Daumen“ so viel Empfinden und Beweglichkeit zu verschaffen, wie nur möglich.
Während des achtstündigen Eingriffs arbeiteten zwei Teams parallel im OP-Saal: Das eine war für die Entnahme des Zehs zuständig, das andere für die Vorbereitung der Transplantation an der Hand. Gefäße und Nerven von der Rückseite des Fußes haben den Zeh quasi so lange ernährt, bis er schlussendlich im Handbereich eingesetzt wurde. Danach haben die Teams die Plätze getauscht, um an der jeweiligen Verbindung bzw. am Verschluss weiterzuarbeiten. Es galt, die Knochen, Sehnen und Nerven wieder so zusammenzufügen, dass Bewegung und Gefühl möglich, und die Gefäße wieder so „anzuschließen“, dass eine Durchblutung garantiert ist. Die mikrochirurgischen Gefäßanschlüsse erfolgten dabei durch das Team der Plastischen Chirurgie, das Zusammenfügen der Sehnen und Knochen lag in den erfahrenen Händen der Unfallchirurgie. „Klassische Teamarbeit im besten Sinn also“, freuen sich die Beteiligten über das schlussendlich gut gelungene Ergebnis.
Zehn Tage nach dem großen Tag konnte der Patient das Spital wieder verlassen. Jetzt bestimmen eine Mischung aus Ergotherapie, Physiotherapie und regelmäßigem Training, gewissenhaften Kontrollen und körperlicher Selbstheilungskraft den weiteren Verlauf. „Es wird in etwa ein knappes Jahr dauern, bis unser Patient im neuen Daumen etwas spüren kann“, erklärt OA Dr. Christian Knecht. „Das Gefühl wird wohl nicht mehr ganz so fein sein wie im ‚Original-Daumen‘, aber ein gewisses Schutzempfinden – etwa Hitze und Kälte gegenüber – wird sich ganz sicher bald einfinden.“ Bei der kürzlichen ambulanten Kontrolle jedenfalls habe der Landwirt den neuen Daumen schon zum Zeigefinger führen können, „etwas Leichtes damit zu halten, klappt also bereits“.
Foto-Information:
**Ungewöhnlicher Eingriff am LKH Feldkirch: Aus Zeh wird Daumen; ©VLKH
**Interdisziplinäre Zusammenarbeit; ©VLKH
v.l.: Prim. Priv.-Doz. Dr. René El Attal (Orthopädie und Unfallchirurgie, LKH Feldkirch & Bludenz)
OA Dr. Werner Ploner (Orthopädie und Unfallchirurgie)
OA. Dr. Christian Knecht (Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie)
Prim. Priv.-Doz. Dr. Gabriel Djedovic, MBA (Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, LKH Feldkirch)
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